Mittwoch, 20. November 2013

Dieter Hildebrandt - Mein persönlicher Nachruf

Nicht nur in der Welt des politischen Kabaretts hat der plötzliche Tod von Dieter Hildebrandt große Wellen geschlagen. Jeder Mensch, der seine Werke und Arbeit kannte und schätzte, empfindet heute ganz persönliche Trauer, je nachdem wie sehr er das jeweilige Leben geprägt hat.

In meinem Fall hat das Leben und Wirken Hildebrandts sehr starke Bezüge zu meiner Jugend und Parallelen speziell zum Leben und Wirken meines Vaters.



Etwa zwei Jahre nach Hildebrandt geboren, hat auch mein Vater seine frühe Jugend während einer sehr düsteren Epoche Deutschlands erlebt und glücklicherweise überlebt. Dieter Hildebrandt gehörte zu den öffentlich Unbequemen, die ihre Finger in Wunden legten und ihren Zuschauern präsentierten, woran der Organismus unserer Republik krankt: Seilschaften von alten und neuen Nazis in politischen Ämtern und der Wirtschaft, Korruption, Schieberei von Posten und Pöstchen im Dienste von Lobbyisten, Das Spiel mit unserer Angst vor der Vernichtung durch das atomare Wettrüsten, Umweltzerstörung... Die Aufreger lieferten die Politik nach Innen und Außen, wie auch der Alltag, der von ihr geprägt war.

Mein Vater sah die gleichen Wunden, war allerdings nicht auf der Bühne und vor der Kamera unterwegs, sondern verkörperte das Prinzip "global denken - lokal handeln" schon lange, bevor es als aktivistisches Motto populär wurde. In seiner Freizeit sammelte er Material über alte und neue Nazis in unserer Region, den alltäglichen Rassismus und Antisemitismus, engagierte sich in der Friedensinitiative Dinslaken und war maßgeblich mit daran beteiligt, dass die Stadt den Zusatz "Atomwaffenfreie Zone" auf dem Ortsschild bekam. Mit meinen Brüdern und mir zusammen marschierte er auf Ostermärschen und wir waren gemeinsam mit fast 400.000 anderen Friedenbewegten bei der zweiten großen Friedensdemonstration in Bonn am 10. Juni 1982. Ebenfalls maßgeblich war er an der Gründung der Initiative für Völkerverständigung Dinslaken e.V. beteiligt. Bei der Wahl zum Europaparlament im Jahr 1984 war er Kandidat des Wahlkreises Dinslaken für die Partei "Die Friedensliste", allerdings verhinderte sein erster Herzinfarkt, den er in jenem Jahr noch vor der Wahl erlitt, ein weiteres stärkeres Engagement.

Er nahm sich sein Engagement im wahrsten Sinne des Wortes zu Herzen. Trotz des Stress, dem er sich damit aussetzte, hat mein Vater nach der Erholung von diesem ersten Schlag sein Engagement fortgesetzt.

Das Werk und Wirken Dieter Hildebrandts war während meiner Jugend in den frühen 1980er Jahren ein steter Begleiter und die Sendung "Scheibenwischer" geradezu Pflichtprogramm im Fernsehen. Nachdem meine Eltern in den Achtzigern einen Videorekorder gekauft hatten, war mein Vater neben Dokumentationen zu denThemen, in denen er aktiv war, sehr bemüht, auch die Ausstrahlungen von Hildebrandts Beiträgen aufzuzeichnen.

Beim kritischen Blick auf die Welt und das Engagement gegen Mißstände, für Frieden und Gerechtigkeit, das auch meine Jugend in jener Zeit stark bestimmte, haben sowohl Dieter Hildebrandt als auch mein Vater Helmut Spring starke Einflüsse auf mich ausgeübt. In gewisser Weise ist Dieter Hildebrandt genauso ein väterliches Vorbild, wie es auch mein Vater war.

Mein Vater, Helmut Spring, erlag seinem zweiten Herzinfarkt am 3. Dezember 1993 im Alter von nur 63 Jahren. Er würde dieses Jahr am 26. Dezember 84 Jahre alt.

Zwei Wochen bevor sich der Todestag meines Vaters zum zwanzigsten Mal jährt, traf mich - wie auch alle anderen - die heutige Nachricht vom Tod Dieter Hildebrandts. Für mich fühlt es sich jedoch so an, als sei der Geist meines Vaters und seines Engagements ein zweites Mal erloschen.

Der Tod von Dieter Hildebrandt hat uns einen der großen Warner und Mahner, den dieses Land brauchte, genommen. Mit ihm verläßt uns das linke Gewissen, das die SPD so dringend nötig hat und schon vor Jahren verlor. "Wer von ihm nichts gelernt hat, ist ein hoffnungsloser Fall" schrieb Frank-Markus Barwasser, alias Erwin Pelzig, heute in seinem Nachruf auf Dieter Hildebrandt in der taz. Recht hat er.

Für mich ganz persönlich ist das Gefühl der Trauer um Dieter Hildebrandt ein beinahe familiäres. Ich werde ihn, einen verwandten Geist meines Vaters, sehr vermissen.

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